Exnovation: Risiken und Chancen
Exnovation meint den Prozess des gezielten Ausphasens überholter Technologien, Strukturen oder Praktiken. Um ein allumfassendes Bild dieses Prozesses zu zeichnen und den Pro-Exnovation-Bias zu vermeiden, soll in diesem Beitrag auch die Risikoseite der Exnovation beleuchtet werden.
Warum birgt Exnovation Risikopotenzial?
Exnovation ist ein technischer oder organisatorischer Prozess, der auch tiefergreifenden kulturellen Wandel und psychologische Reaktionen auslöst. Dabei spielen drei konkrete Risikofaktoren eine zentrale Rolle:
- Unvorhersehbarkeit in komplexen Systemen: Entscheidungen zur Exnovation sind oft riskant, da die langfristigen Auswirkungen schwer abschätzbar sind. Beispiele wie der Kohleausstieg zeigen, dass selbst gut gemeinte Veränderungen Konflikte und Unsicherheiten hervorrufen können
- Widerstände und Verlustaversion: Menschen neigen dazu, am Status quo festzuhalten, da Verluste emotional stärker wiegen als gleichwertige Gewinne. Dieser Endowment- und Status-quo-Effekt erschwert es, bestehende Systeme loszulassen, selbst wenn es bessere Alternativen gibt
- Fehlende Vorbilder und positive Narrative: Während Innovation von Heldenfiguren und Erfolgsgeschichten geprägt ist, fehlt Exnovation diese inspirierende Kraft. Das "Aufhören" erscheint oftmals deutlich weniger attraktiv und motivierend.
Warum birgt das “Sein-Lassen” von Exnovation auch Risiken?
Auf der anderen Seite kann aber auch das Ignorieren notwendiger Exnovationen Konsequenzen haben:
- Beibehaltung schädlicher Praktiken: Überholte Technologien oder Strukturen bleiben bestehen und verursachen weiterhin Schäden – beispielsweise durch Umweltbelastungen oder ineffiziente Prozesse
- Systemüberlastung: Das kontinuierliche Hinzufügen neuer Lösungen ohne das Entfernen alter führt zu einer Überforderung der Beteiligten und einer Verwirrung hinsichtlich der Ziele und Prioritäten. Dies kann im schlimmsten Fall zu Handlungsunfähigkeit führen
- Kipppunkte und Systemkrisen: Ohne rechtzeitige Anpassungen können sich negative Effekte sprunghaft verstärken und dazu führen, dass Systeme kollabieren (Stichwort: Ressourcenerschöpfung oder soziale Spannungen). Solche Kipppunkte sind schwer vorhersehbar und oft unumkehrbar
Was heißt das für die Praxis?
Exnovation ist mehr als das bloße Abschalten alter Systeme – sie erfordert eine strategische Herangehensweise auf technischer, organisatorischer, kultureller und kommunikativer Ebene. Kommunikation nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein: Die Akzeptanz von Veränderungen hängt maßgeblich davon ab, wie der Wandel vermittelt wird. Erfolgversprechend ist ein Fokus auf greifbare Vorteile – etwa Effizienzgewinne oder zukunftsfähige Strukturen – kombiniert mit einer ehrlichen Darstellung möglicher Nachteile. Diese Transparenz schafft Vertrauen und reduziert Ängste.
Ebenso entscheidend ist der konstruktive Umgang mit Widerständen. Statt Konflikte zu unterdrücken, lassen sich diese als diagnostisches Werkzeug nutzen: Sie offenbaren blinde Flecken im Prozessdesign und zeigen Anpassungsbedarfe auf, die eine gezielte Optimierung ermöglichen.
Darüber hinaus verlangen tiefgreifende Transformationen eine ganzheitliche Planungsperspektive. Makroökonomische Strategien müssen soziale Folgenabschätzung, wirtschaftliche Resilienz und ökologische Tragfähigkeit synchron betrachten – und dabei durch transparente Meilensteine und adaptive Steuerungssysteme flexibel bleiben.
- Kommunikation ist entscheidend: Die Art und Weise, wie Exnovationsprozesse präsentiert werden, beeinflusst deren Akzeptanz erheblich. Ein Fokus auf die Vorteile der Veränderung sowie transparente Kommunikation über mögliche Verluste sind essenziell
- Widerstände als Indikatoren nutzen: Anstatt Konflikte zu bekämpfen, sollten sie als Hinweise auf Schwachstellen im Prozess betrachtet werden. Dies hilft, Lösungen gezielt zu optimieren
- Methodische Planung: Große Veränderungen erfordern eine umfassende makroökonomische Planung, die soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte berücksichtigt. Transparenz und Flexibilität sind dabei unerlässlich
- Subtraktive Lösungsansätze fördern: Menschen tendieren dazu, Probleme durch Addition zu lösen. Es ist wichtig, den Nutzen von Reduktion explizit hervorzuheben. Das könnte zum Beispiel Kostenersparnisse oder Effizienzsteigerung sein
Fazit
Exnovation ist eine unverzichtbare und unterbeleuchtete Disziplin unserer Zeit, die uns hilft (u.a. in der Energiewende, der Digitalisierung oder der Kreislaufwirtschaft) bedachte Entscheidungen zu fällen und Herausforderungen aufmerksam und rücksichtsvoll zu begegnen. Widerstände, Unsicherheiten in komplexen Systemen und fehlende Erfolgsgeschichten sind erwartbare Begleiterscheinungen der Exnovation. Aktuelle politische Entwicklungen wie z.B. der Trump-Administration zeigen, wie wichtig es ist, nicht mit der sprichwörtlichen Kettensäge zu agieren, sondern Widerstände auch als wichtige Rückmeldung und Reflexionshinweise zu verstehen. Gleichzeitig zeigt sich jedoch: Ohne Exnovation drohen langfristige Schäden durch veraltete Strukturen sowie Überlastung von Menschen und Systemen.
(vgl. Bils, S. & Töpfer, G. (2024). Innovation & Exnovation, Synergien von Ende und Anfang (1. Aufl.). Nomos. https://doi.org/10.34156/978-3-7910-6150-4 - Kapitel 3.4: S. 93-102)