Interview mit Harald Hornyak

 

Harald Hornyak, seit Anfang 2020 Dezernent für zentrale Services an der Universität Stuttgart, teilt im Interview spannende Einblicke in die Herausforderungen und Erfolge seiner Arbeit. Als Experte für Organisationsentwicklung leitet er eine Abteilung, die sich durch ihre auftragsbasierte Arbeitsweise von traditionellen Verwaltungsstrukturen abhebt und wie eine "Explore-Insel" im exploit-orientierten Umfeld fungiert. Er spricht über die Balance zwischen stabilen Prozessen und Neuanfängen, der Bedeutung von frühzeitiger Veränderungssensibilisierung und Kompetenzentwicklung sowie die symbiotische Beziehung zwischen Verwaltung und Forschung


Eine kurze Arbeitsdefinition von Ambidextrie, damit wir eine gemeinsame Basis haben – im Wesentlichen teilt das Modell der Ambidextrie Arbeitsmodi in zwei Bereiche:

  1. Exploit-Bereich: Hier geht es um stabile, fortlaufende Prozesse, die messbare Ergebnisse liefern und kontinuierlich perfektioniert werden. Wir nutzen und optimieren bestehende Strukturen mit nur kleinen Veränderungen.
  2. Explore-Bereich: Hier haben wir größere Handlungsspielräume, um Prozesse komplett neu zu gestalten oder zu überdenken. Es geht um freies, kreatives Denken, Lernen durch Handeln und Fehlermachen. Fehler sind hier Teil des Prozesses, während im Exploit-Bereich Fehlervermeidung im Vordergrund steht.

Kannst Du ein Beispiel aus einem Deiner Projekte nennen, wo diese Balance bzw. Disbalance beider Bereiche aufgefallen ist? Wie seid ihr mit der Unterschiedlichkeit umgegangen?

Im Rahmen eines zu Ende gehenden Projekts haben wir einen Lessons-Learned-Workshop durchgeführt. Da habe ich genau diese zwei Pole wahrgenommen. Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, was wir tatsächlich erreichen könnten, wenn wir aus unseren Erfahrungen lernen. Dabei haben wir erkannt, dass wir uns auf zwei Ebenen bewegen müssen: Einerseits die Vorbereitung und Optimierung bestehender Prozesse und andererseits die Bereitschaft, neue Wege zu erkunden.

Die Bereitschaft, neue Wege zu erkunden, war da! Wir sind dabei aber vielleicht ein bisschen zu schnell losgelaufen. Dabei ist es elementar sich bei der Vorbereitung zu fragen: Wo stehen wir überhaupt? Was haben wir schon? Also das Ausschöpfen dessen, was schon da ist, bevor ich Neuland betrete. In meiner Arbeit in der Verwaltung sehe ich oft, dass wir auf langjährige Erfahrungen und definierte Prozesse zurückgreifen können. Diese Ressourcen zu nutzen, gibt uns Sicherheit und Stabilität. Gleichzeitig müssen wir aber auch offen für neue Entdeckungen sein, auch wenn es das Risiko mit sich bringt, Fehler zu machen oder auf Schwierigkeiten zu stoßen.

Besonders im Kontext von Organisationsentwicklung und Change Management ist es entscheidend, diese beiden Aspekte zu balancieren. Oft wird zu schnell in die Zukunft geschaut, ohne die vorhandenen Ressourcen effizient zu nutzen. Das führt zu eigentlich vermeidbaren Problemen.

Das klingt sehr nach Explore-Vorgehen in Eurem Projekt – mit dem sofortigen Loslaufen und umschauen und dann vergessen, dass vielleicht etwas fehlt. Was würdest du diesbezüglich anders machen? Was hast Du für Dich mitgenommen?

Für mich war es eine wertvolle Erfahrung, da ich nicht direkt in die Projektleitung eingebunden war, sondern eher als Beobachter und Unterstützer agiert habe. Ein Kollege aus dem OE-Team hat den Change und die Kommunikation begleitet, und ich habe aus einer Supervisor-Perspektive heraus Hinweise gegeben. Eine wichtige Lektion aus diesem Projekt war, wie früh wir uns mit Veränderungen befassen müssen. Es ist entscheidend, die betroffenen Personen frühzeitig zu sensibilisieren und Kompetenzen zu entwickeln. Dabei geht es darum, zu erkennen, was realistisch durch die beteiligten Personen geleistet werden kann und welche Fähigkeiten noch entwickelt werden müssen.

Wir haben externe Berater:innen als Expert:innen miteinbezogen, aber die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ausreichend auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet. Dies führte zu Problemen, weil technische und organisatorische Herausforderungen nicht optimal bewältigt wurden.

Im Rückblick würde ich mehr Augenmerk darauflegen, vorhandene Ressourcen besser zu nutzen und die Beteiligten frühzeitig zu qualifizieren. Meine Führungskraft hat den Prozess unterstützt, aber oft waren wir durch hierarchische und politische Strukturen eingeschränkt. Es ist wichtig, eine Balance zwischen Bewahren und Verändern zu finden, um effektiv und sicher neue Wege zu beschreiten und die Digitalisierung voranzutreiben.

Beinhaltet das Können sowohl die Ausbildung der Personen, die mit der Funktionslogik und Technologie arbeiten, als auch das Vorhandensein einer Struktur, in der die Technologie und der Digitalisierungsprozess effektiv funktionieren können? Ist es oft eine Mischung aus beidem? Fallen darunter auch neue Rollenkonzepte?

Auf jeden Fall! Ich denke, dass wir bei selbst initiierten Ansätzen zu vorsichtig und in unseren Entwicklungsprozessen sehr kleinschrittig vorgehen, was nicht nur im Verwaltungsbereich, sondern im gesamten Hochschulkontext gilt. Auch leitende Personen sollten hierbei nicht ausgeschlossen werden. Die Universitätsverwaltung ist ein politisches System, beeinflusst durch Wahlfunktionen wie die des Kanzlers oder der Kanzlerin, was zusätzliche Vorsicht erfordert. An Universitäten spielen kollegiale, hierarchische und politische Faktoren eine größere Rolle.

In der Forschung herrscht das Prinzip der Offenheit, das essenziell ist, um Neues zu entdecken. Demgegenüber steht eine weniger offene Verwaltung, die sich streng an Recht und Gesetz halten muss, was oft zu Konflikten führt. Die strikten Regularien der Verwaltung harmonieren nicht immer mit der Freiheit der Wissenschaft, was uns behindert, unsere Ziele zu erreichen.

Es ist spannend, wie Verwaltung und Forschung an der Universität sowohl Explore- als auch Exploit-Charakteristika in sich tragen. Die Verwaltung muss aufgrund von Gesetzen und Digitalisierungsnotwendigkeiten explorative Schritte unternehmen, während die Forschung, obwohl sie inhaltlich innovativ ist, oft strukturell konservativ bleibt. Siehst du darin einen Aspekt, wie beide Bereiche aufgrund ihrer jeweiligen Beschaffenheiten gut aneinander anknüpfen können?

Ja, Verwaltung und Forschung können gut aneinander anknüpfen, wenn beide erkennen, dass sie Neuland betreten müssen, um erfolgreich zu sein. Forschung benötigt eine stabile und funktionierende Verwaltung als Basislager, die sich um Logistik, Sicherheit und technische Einrichtungen kümmert. Dies ermöglicht es den Forschenden, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, ohne sich um administrative Aufgaben sorgen zu müssen.

Auf der anderen Seite könnte die Verwaltung von der Kultur der Offenheit in der Forschung profitieren. Wenn die Verwaltung bereit ist, neue Wege zu gehen und innovative Lösungen zu finden, kann sie sich von der methodischen und explorativen Herangehensweise der Forschung inspirieren lassen. Verwaltung könnte von der Flexibilität und Kreativität der Forschung lernen und diese Ansätze auf ihre eigenen Prozesse anwenden. So entsteht eine symbiotische Beziehung, in der die Forschung durch eine starke Verwaltung unterstützt wird und die Verwaltung durch die Offenheit und Innovationskraft der Forschung inspiriert wird.

Wie hast du es geschafft, deinem Team in der Organisations- und Personalentwicklung den Freiraum zu geben, sich neu zu finden und sicher zu positionieren? Was hat dazu beigetragen, dass sie ihre Expertise effektiv einbringen können?"

Für mich persönlich bedeutet gute Führung, dass man sicher und stabil auftritt, aber auch offen für neue Ideen ist und seinem Team zuhört. Mein Team schätzt, dass ich immer da bin und Unterstützung biete, selbst wenn es Herausforderungen gibt. Ich stehe zwischen der Leitungsebene und meinem Team und fungiere als stabiler Intermediär. Meine Erfahrung und die Anerkennung durch die Hochschulleitung und mein Team ermöglichen es mir, beide Seiten zu unterstützen und zu beraten.

Ich arbeite daran, dass sowohl das Rektorat als auch mein Team lernen und sich weiterentwickeln, besonders im Hinblick auf unser Ziel, eine Exzellenz-Universität zu werden. Dies erfordert eine klare Vision davon, wie Exzellenz aussieht, und die Fähigkeit, diese Vision in konkrete Schritte umzusetzen. Es ist wichtig, die vorhandenen Kompetenzen zu erkennen und zu nutzen (Exploit), aber auch offen für neue Ansätze und Entwicklungen zu sein (Explore).

Wir müssen sicherstellen, dass wir als Universität in der Gesamtheit exzellent sind und kontinuierlich bewerten, wo wir uns verbessern können. Dies erfordert eine Balance zwischen Bewahrung und Innovation, damit wir nicht von anderen Hochschulen überholt werden.

Noch eine abschließende Frage: Was sind Schlüsselelemente für die erfolgreiche Integration von Ambidextrie in Verwaltungsstrukturen?

Ein Schlüsselelement für die Integration von Ambidextrie in Verwaltungsstrukturen ist, meiner Ansicht nach, das Bewusstsein für die unterschiedlichen Muster und Routinen innerhalb der Organisation und die Bereitschaft, einander zuzuhören und voneinander zu lernen. Akzeptanz und Verständnis der spezifischen Gesetze und Regeln, die sowohl für die Forschung als auch für die Verwaltung gelten, sind entscheidend.

Kompetenzaufbau ist ebenfalls zentral. Das bedeutet, gezielte Rollen in der Organisation zu etablieren, die die Balance zwischen Stabilität (Exploit) und Veränderung (Explore) fördern. Dies kann durch die Schaffung neuer Dezernate oder Prorektorate für Themen wie digitale Transformation oder Kultur geschehen.

Wichtig ist auch das Zuhören und die Fähigkeit, die Anliegen und Ideen aller Beteiligten zu berücksichtigen. Mit meiner Erfahrung und Position konnte ich dafür sorgen, dass meine Beiträge gehört und geschätzt werden, was für mein Team und unsere Arbeit von großer Bedeutung ist. Im Vergleich zu anderen Unternehmen haben wir als interne Organisationsentwicklung an der Universität eine starke Position, die es uns ermöglicht, auf Top-Management-Ebene zu agieren und Veränderungen voranzutreiben.


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