Ambidextrie und Agilität im Hochschulkontext

– ein Kommentar von Almut Meyer zu Schwabedissen

Seitdem klar ist, dass die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen unumgänglich ist (vgl. nicht zuletzt das Onlinezugangsgesetz (OZG)), gibt es in der öffentlichen Verwaltung immer mehr Akteure, die sich mit Agilität befassen, oft mit dem Bestreben, „die Verwaltung zu modernisieren“. In meiner Arbeit als Organisationsentwicklerin und Professional Scrum Master, begegnen mir viele Personen aus der Verwaltung, die sich mit Begeisterung in die Thematik der Agilität einarbeiten, Zeit investieren (häufig auch Mittagspausen opfern und Überstunden in Kauf nehmen) um sich für eine agilere Verwaltung einzusetzen. Man befasst sich mit agilen Tools und Methoden, besucht dazu Workshops und (online-) Meetings, mit dem Ergebnis, dass man anschließend zum Beispiel seine Arbeitsphasen “Sprints” nennt, oder seine Aufgabenliste KanBan-Board und damit hofft einen Weg gefunden zu haben, wie man Verwaltung modernisieren kann. Oft bleibt außer neuem Vokabular und manchmal auch einem Hauch Verzweiflung, dass man sogar mit einem KanBan-Board seine Arbeit nicht gut strukturieren kann, wenig übrig. Eine gespürte Verbesserung, Effizienzsteigerung oder Modernisierung bleiben oft aus.

Woran liegt es, wenn außer ein paar Tools und Umbenennung von Sitzungen wenig strukturell in Richtung Agilität zeigt? Wie kann man das ändern?


Impuls 1: Die Kraft der Verbesserungs-Idee stärker nutzen  

Allen agilen Ansätzen liegt eine Optimierungslogik zugrunde.  

Zu dieser Optimierungslogik gehört, dass man versteht, wo das Problem liegt, und wie es behoben werden kann. Was ist also das von NutzerInnen gewünschte Ergebnis einer Leistung? Und welche Aspekte sind für die Leistungserbringenden rahmengebend (z.B. DSGVO, OZG, Anti-Diskriminierung, vorhandene Ressourcen, etc.)? 

Oft ist das gewünschte Ziel der Handlung unklar (und wenn einmal erhoben, nicht notwendigerweise gleichbleibend) und die rahmengebenden Faktoren derjenigen, die die Leistung erbringen sollen, sind nicht in gutem Einklang mit den Zielen. 

Lasst uns klären, was besser werden soll, dann können wir die Verbesserung anstreben und uns 

  • in einem wiederkehrenden Prozess,  
  • in kleinen Schritten dem Ziel nähern,  
  • selbst wenn es ein bewegliches Ziel ist und  
  • selbst wenn wir ein paar Mal einen Schritt in eine nicht-zielführende Richtung gemacht haben.  

Die Orientierung an Zielen und der regelmäßige Kontakt mit den Stakeholdern sind die Basis dafür, dass wir bedeutsame und anpassungsfähige Lösungen finden.

Impuls 2: Organisationskultur und Methoden besser aneinander anpassen 

Weil es so einfach ist, Agilität in Tools zu präsentieren und so schön sichtbar Dinge geschehen, sind mittlerweile viele versiert in der Anwendung von vermeintlich agilen Methoden und Vokabular (Retrospektive, Kanban-Boards, Sprints, Backlogs, etc.). Ganz wesentlich ist Agilität aber eine Frage der Kultur. Agile Methoden funktionieren auf einer Wertebasis. Wenn diese Wertebasis nicht trägt, entfalten agile Ansätze nur einen Bruchteil ihrer eigentlichen Kraft.

Im „Agilen Manifest“ ist daher zu lesen, dass man folgende Werte zu schätzen gelernt hat:  

Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.“

Eine gute Umsetzung von Agilität in Verwaltungen braucht daher – neben der Kenntnis von Prozessen und Tools – die Fähigkeit und das Vertrauen:

  • aktiv zuzuhören sowohl innerhalb des Teams als auch den KundInnen und „Stakeholdern“,  
  • die unterschiedlichen vorhandenen Kompetenzen zu erkennen und zu wertschätzen,  
  • Änderungen in den Ansprüchen und Kompetenzen wahrzunehmen 
  • eigene Wege zu gehen und Fehler zu machen (als Team und als Einzelperson) 
  • Gutes und Schlechtes zu benennen, einzuschätzen und daraus zu lernen 

Impuls 3: Ambidextrie nutzen: Bestehendes und Neues in Einklang bringen  

Oft funktioniert das Miteinander und damit auch die Werte – wie z.B. Respekt, Mut, Vertrauen - innerhalb des “exploring-”Teams recht gut: man hat sich gemeinsam auf den Weg gemacht, man wusste nicht, was einem so alles begegnet, und jetzt geht man gemeinsam mit den Dingen um, die einem im Weg stehen oder den Weg geebnet haben. 

Es sind die Umstände drum herum, die vielen zu schaffen machen. Vorgesetzte oder KollegInnen, die plötzlich Zweifel haben; die Müdigkeit, immer wieder Neues in den Arbeitsalltag zu integrieren; Strukturen, die so wirkmächtig sind, dass die neuen Ideen unter die Räder kommen. 

Das darf so sein, alle diese Anteile haben eine wichtige Rolle in dem Prozess. Klar ist: Es braucht beides, die starken wirkmächtigen Routinen und die neuen Ansätze. Wie man diese beiden gut miteinander einspielt, ist eine Fragestellung, mit der sich die Ambidextrie-Forschung befasst: Wie findet neues Wissen Eingang in die bisherigen Prozesse und Logiken? Was muss sich jetzt tatsächlich ändern und was hat Bestand? Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten werden gerade an welcher Stelle besonders gebraucht? Viele Organisationen haben bereits Personen mit passender Expertise in ihren Reihen. Hört mal genau hin, oft sind Teams kompetenter aufgestellt als es ihnen bewusst ist!


Almut Meyer zu Schwabedissen verfügt über langjährige Erfahrung im Hochschulkontext, wo sie als Dozentin, Projektleiterin und Studiengangsleiterin wie auch als Referentin in der Hochschulverwaltung gearbeitet hat. Nun ist sie als Organisationsentwicklerin tätig, wobei sie unter anderem Verwaltungen in Change Prozessen begleitet.


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