Führung

Die Zeiten, in denen Unternehmen sich nach einem Erfolg ausruhen und zurücklehnen konnten, sind vorbei. Die Veränderungsanlässe unserer Zeit sind in den letzten Jahren eher mehr denn weniger geworden und so ist der Druck, sich möglichst schnell (aber auch nicht vorschnell) an Veränderungen anzupassen, eine der wichtigsten Disziplinen für Organisationen geworden.

Führungspersonen sind Multiplikatoren, wenn es um Veränderungen an und in Organisationen geht. Sie befinden sich an wichtigen Nahtstellen zwischen strategischen Überlegungen, praktischer Umsetzung und der anspruchsvollen Frage, wie man bei aller operativer „Hektik“ die Beteiligten mitnehmen kann. Im Kontext von Ambidextrie ergeben sich für Führungskräfte spezielle Herausforderungen und Aufgaben – die Balance aus Exploit- und Explore-Modus ist anspruchsvoll und eröffnet einen Raum, der in Übereinstimmung mit der individuellen Persönlichkeit gestaltet sein will.

1. Was hat Führung mit Ambidextrie zu tun?

Ambidextrie beruht, ähnlich wie alle Instrumente und Werkzeuge, die auf Organisationsentwicklung abzielen, darauf, dass Menschen in Unternehmen sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten. Führungskräfte wägen in ihrem Handeln die Ziele der Organisation, Ziele des Teams, organisatorische Rahmenbedingungen, die Beurteilung von Risiken, individuelle Ziele, soziale und Kultur-Aspekte des Unternehmens ab und treffen an den Stellen, wo dies nötig ist, Entscheidungen. Wegen der Vielzahl an Einflussfaktoren, die sich ggf. auch noch widersprechen, ist es oft nicht leicht, zu entscheiden und zu handeln. Damit Organisationen im Sinne der Ambidextrie langfristig bestehen bleiben, müssen Führungspersonen einzelne Situationen durch die „Ambidextrie-Brille“ betrachten und sich für passende Handlungsweisen entscheiden.

2. Was bedeutet Ambidextrie für Führungskräfte?

In der konkreten Arbeit bedeutet Ambidextrie für Führungskräfte zunächst einmal, dass sie das Grundprinzip der beiden Modi (Exploit- und Explore-Modus) sowie ihr Zusammenwirken verstehen und an die KollegInnen weiter kommunizieren können: Awareness ist der erste Schritt für den Transfer des theoretischen Konstrukts in die Praxis. Sie beinhaltet das Erkennen von Mustern aus dem täglichen Handeln. Dabei rücken beispielsweise folgende Fragen in den Mittelpunkt: Welche Aufgaben müssen mit Exploit-Werkzeugen „bearbeitet“ werden, welche mit Explore-Werkzeugen? Und welche Werkzeuge sind es?

Der Schritt in die Praxis ist nach geglückter Mustererkennung gar nicht mehr so groß: Die Werkzeuge, die in den beiden „Werkzeugkisten“ zur Verfügung stehen, sind oft schon bekannt und vorhanden, sie wurden nur nicht so benannt: Aufgaben mit einem unklaren Ziel und offenen Lösungsraum lassen sich gut mit Explore-Werkzeugen lösen, Aufgaben mit klarem Ziel, klaren Methoden und deutlich umrissenen Rahmenfaktoren werden mit Exploit-Werkzeugen besser erledigt. Was also fehlt, ist der Griff in die passende „Werkzeugkiste“. Diese beinhaltet neben einfachen Methoden und Werkzeugen auch Haltungen und Einstellungen, die sich zwischen Exploit-Modus und Explore-Modus massiv unterscheiden können. Man kann also sagen: Im Kern liegt die Herausforderung darin, die beiden Gegenpole im Handeln sinnvoll auszubalancieren, zu steuern/anzuleiten und darüber hinaus auch noch zielgereichtet darüber zu kommunizieren.

3. Gibt es ambidextre Führung?

Ambidextre Führung, oft auch „beidhändige“ Führung genannt, berücksichtigt im Handeln das Prinzip der Ambidextrie. In beiden Modi hat eine Führungskraft andere Aufgaben und es ist wichtig, nach einer Aufgabenanalyse in die richtige „Werkzeugkiste“ zu greifen.

Im Exploit-Modus hat eine ambidextre Führungskraft die Aufgabe, die Zieldefinition klar zu beschreiben, Ressourcen (das sind neben finanziellen Mitteln auch Informationen, Ansprechpartner, Fristen, Qualitätslevel, etc.) zur Verfügung zu stellen und auf Einhaltung erprobter und zielführender Spielregeln zu achten. Bei Exploit-Aufgaben gibt es oft ein recht gut erschlossenes Feld aus Vorgaben und Standards, deren Missachtung in aller Regel zu größeren Problemen führt (z. B. das Ignorieren von Bauvorschriften bezüglich Brandschutz in Gebäuden). Sich an dieser Stelle kreativ „auszutoben“ wäre kontraproduktiv und es ist Aufgabe der Führungsperson, dies zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Bei einer Explore-Aufgabe tritt die Führungskraft in den Hintergrund, denn es muss ein „unerschlossenes Feld“ erobert werden. Statt Management-Aufgaben sind hier andere Rollen und Funktionen gefragt, z. B. ImpulsgeberIn, ModeratorIn, Coach, DienstleisterIn, InspiratorIn, …. Man kann an diesen Beispielen erkennen, dass es in Abkehr traditioneller Rollenbilder nicht mehr die jahrelange Expertise oder das vertiefte Fachwissen allein sind, die im Kern der Explore-Führung liegen. Aber: Anders als oft behauptet schaden Expertise und Fachwissen natürlich nicht zwangsläufig im Explore-Modus – es sei denn, sie verstellen den Blick auf neue Möglichkeiten. Die Führungsperson hat im Explore-Modus also auch die Aufgabe, eigenes Wissen zunächst einmal in den Hintergrund zu stellen, um den Raum weit zu öffnen und Gedanken zuzulassen, die bisher noch nicht im Möglichkeitsraum vorhanden waren.

Dieser Shift im Fokus der Führung liegt daran, dass das Ziel oft nur grob bekannt ist, die Mittel, die zum Ziel führen, müssen aufgrund fehlender Zieldefinition auch erst erschlossen und bereitgestellt werden. Bei einer Explore-Aufgabe helfen verschiedenste Sichtweisen auf das Thema, die zusammengeführt, strukturiert und immer wieder kommuniziert werden müssen. Nach einer gewissen Phase der Konzeption ist es an der Führungskraft, den nächsten Schritt einzuläuten und (wenn es sich z. B. um eine Produktentwicklung handelt) mit der Arbeit an ersten Prototypen zu beginnen. Um schnell Erkenntnisse über die Qualität zu gewinnen, sind kurze und rasch aufeinanderfolgende Entwicklungsschritte (Iterationen) und das schnelle Lernen aus Fehlern zentral („fail fast, fail hard“).

Sind Führungspersonen nur in einem der beiden Modi eingesetzt, reicht es unter Umständen aus, sich genau darauf zu konzentrieren und darin exzellent zu sein (strukturell-ambidextre Führung). Wahrscheinlicher ist jedoch, dass man Kontakte zu Organisationseinheiten hat, in denen anders gearbeitet wird. Die Schnittstelle professionell zu managen bedeutet, dennoch die Rahmenbedinungen und Setzungen des anderen Modus zu verstehen, um als ÜbersetzerIn fungieren zu können.

Ist man in einem Bereich als Führungsperson angesiedelt, wo Aufgaben aus beiden Modi vorkommen können, sprechen wir von kontextuell-ambidextrer Führung: Nicht nur sollte man beide Modi in der Tiefe verstanden haben und auch begleiten/führen/anleiten können. Es obliegt Führungspersonen dann auch die Mustererkennung auf der Meta-Ebene, welcher Modus für eine gegebene Aufgabe der richtige ist, um dann mit allen Beteiligten in diesen Modus zu gehen. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Modi ist dieser Zyklus aus „Mustererkennung – Entscheidung für einen Modus – Kommunikation – Anleiten/Führung – Mustererkennung – …“ kräftezehrend und anspruchsvoll.

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